Was brauchen Schulen, um sich gut zu entwickeln? Die Antwort auf diese Frage brachte Corina Schimitzek, Leitende Schulamtsdirektorin des Staatlichen Schulamts Nürtingen, in der Weilheimer Limburghalle in wenigen Sätzen auf den Punkt. Sie bräuchten mutige Lehrkräfte, mutige Schulleitungen und Schulträger, die an der Seite ihrer Schulen stehen. Hinzu kämen Eltern, die bereit seien, mit ihren Kindern neue Wege zu gehen und bei allen gemeinsam der Mut zu Fehlern – und die Bereitschaft, aus diesen Fehlern zu lernen.
Sie sagte dies vor Lehrerinnen – und vereinzelten Lehrern – von sechs Schulen: von der Alleenschule Kirchheim, der Teckschule Dettingen, der Limburg-Grundschule Weilheim, der Grundschule Neidlingen, der Grundschule Bissingen und der Grundschule Nabern. Diese sechs Schulen gehören zur „Professionellen Lerngemeinschaft des Schulamts Nürtingen“ und hatten gemeinsam eingeladen. Auch die Schulträger waren vertreten.
Die Schulen stünden in vielen Ländern der Welt vor Herausforderungen, die keiner allein bewältigen könne, sagte die Hauptreferentin Anne Sliwka. Die Heidelberger Professorin, eine führende internationale Expertin zur Schulentwicklung, nannte als Beispiele den Lehrkräftemangel, die Lernverluste durch die Corona-Maßnahmen und die schnelle und ungeplante Zuwanderung: „Das System war darauf nicht vorbereitet.“
Ein Blick zurück zur industriellen Revolution: Damals entwickelte sich die Technik rasant, doch die Bildung hinkte hinterher und zog erst später nach. Bei der aktuellen rasanten technischen Entwicklung bleibe die Bildung erneut zurück: „Es braucht transformative Änderungen.“ In Deutschland gelinge es bisher nicht, die Verbindung zwischen Herkunft der Kinder und Schulerfolg aufzubrechen. Japan – bei allerdings sehr wenig Zuwanderung – und Kanada seien in dieser Frage erfolgreicher. Das kleine Estland habe bei den Schulen Finnland überholt, polnische Schüler seien besser als deutsche Schüler. Grundlage einer guten Strategie seien Daten und Kennzahlen der Schüler: „Sonst ist das wie Autofahren ohne Tacho, nur nach Gefühl.“ Schulen gäben ihre Daten her, bekämen dafür aber mehr Freiheit.
Wo lernen Kinder erfolgreich? Nur in ihrer „Zone der nächsten Entwicklung“, betonte Anne Sliwka. „Was sie schon können, ist langweilig.“ Seien die Aufgaben hingegen zu schwierig, sei die nächste Stufe der Lernleiter zu hoch, führe das nur zur Frustration. „Kinder brauchen unterschiedliche, passgenaue Angebote. Alle erreichen den Mindeststandard, viele den Regelstandard und manche den Optimalstandard.“ Wie schlecht die Lehrkräfte die bisherigen Förderangebote beurteilten, zeige der Schulbarometer 2024.
Um die nächste Lernzone jedes Kindes zu finden, brauche es digitale Lernstandserhebungen. Die adaptive Förderung richte sich nach dem Bedarf des Kindes: Basis sei der Unterricht in der Klasse, dazu komme die Förderung in Kleingruppen und wenn nötig individuell. Jedes Kind müsse jede nächste Stufe erklimmen. Würden in der Grundschule Stufen ausgelassen, räche sich das später: „Die Kinder kommen in Mathematik über Klasse 5 oder 6 nicht hinaus, brechen später die Schule ab. Wer keinen Satz schreiben kann, kann später keine Fabel schreiben.“ Die Aufteilung solle nicht nur nach Leistung, sondern auch nach Interessen erfolgen. „Die Kinder beschäftigen sich die ganze Zeit mit Fußball, aber in Wirklichkeit lernen sie Deutsch.“ Auch bei der Leistungsbewertung gelte das Förderprinzip, ein Schüler könne etwas „noch nicht“.
So gut das alles klingt, es fehlen dazu Ressourcen. Diese Feststellung in der Diskussion wurde mit Applaus bestätigt. Doch verwies Anne Sliwka auch auf den falschen Einsatz von manchem Personal – etwa in Minischulen mit insgesamt gerade einmal 30 Kindern. Zur Sprache kam auch, dass manche Kinder nur in einer guten Beziehung lernen können. „Machen Sie alles, was nicht verboten ist, probieren Sie es aus, finden Sie ihren Weg“, forderte Corina Schimitzek auf.
Ein Beispiel aus der Praxis
„Erste Gemeinschaftsschule in Esslingen. Mit Primarstufe. Seit 2013.“ So wirbt die Seewiesenschule Esslingen. Ein Team präsentierte, wie die Schule die Impulse von Anne Sliwka umgesetzt hat. Dort gibt es die entsprechende Benotung: Bei 0 bis 49 Prozent Erfolg ein „noch nicht geschafft“, bei 50 bis 69 Prozent ein „fast geschafft“, bei 70 bis 89 Prozent ein „geschafft“ und darüber ein „super“. Das würde anders als Noten nicht als Urteil empfunden, durch das manche Kinder aus Angst vor dem Scheitern scheitern.
Das Problem seien zu viele, unübersichtliche Informationen über die Kinder gewesen, statt eines alltagstauglichen Messinstruments für den Lernfortschritt. Statt acht Kompetenzen gleichzeitig in den Blick nehmen, komme es nun auf das an, woran die Kinder beim Lernen nicht vorbeikommen. Eine Lerngruppe sei nicht immer homogen: „Ein Kind kann Probleme mit der Rechtschreibung haben, aber ein guter Leser sein.“
Die „Roadmap“, also die „Landkarte fürs Lernen“, sei in der Seewiesenschule wichtiger als die Zeugnisse. Eine Möglichkeit sei, Zeugnisse im verschlossenen Umschlag an die Eltern zu geben. Dann könnten diese über den Umgang damit entscheiden.