Offiziell ist der 8. Mai der Tag, an dem 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Es ist aber nicht so, dass der Krieg an diesem Tag überall schlagartig zu Ende gegangen wäre. Auch danach kam es noch zu einzelnen Gefechten. – In der Region rund um die Teck war das ganz anders: In Kirchheim etwa endete der Krieg bereits am 20. April – mit dem Einmarsch der US-Amerikaner. In Hepsisau wiederum war es erst zwei Tage später so weit. Genaue Erinnerungen daran hat Wilhelm Braun aufgeschrieben, der damals acht Jahre alt war.
Dem Jeep entstieg der Soldat Alex. Der US-Verwandte der Wagners.
Wilhelm Braun über eine besondere Begegnung am Tag des Kriegsendes in Hepsisau
Teilweise sind es sehr persönliche Erinnerungen, aus der eigenen Familiengeschichte. So war sein Vater Christian Braun noch im April 1945 einer Volkssturm-Gruppe zugeteilt worden. Bei Wendlingen hätte diese Gruppe die heranrückenden US-Truppen noch zurückschlagen sollen.
Rückkehr in Zivil
Gerade rechtzeitig – also weder zu früh noch zu spät, denn beides wäre lebensgefährlich gewesen – schafften es die Männer, sich im Dunkel der Nacht abzusetzen. So gelang es auch Christian Braun, nach Hepsisau zurückzukehren, nachdem er sich in Neidlingen seiner Uniform entledigt und Bauernkleidung angelegt hatte. Das war am frühen Morgen des 22. April, etwa zur selben Zeit, als die US-Einheiten gerade in Hepsisau einrückten.
Am 20. April – als in Kirchheim der Krieg zu Ende ging, als Dettingen zum Ziel eines verheerenden Luftangriffs wurde und als auch in Owen zahlreiche Gebäude in Flammen aufgingen – kämpften sich Wehrmachtsangehörige durch Hepsisau. Wilhelm Braun erinnert sich noch heute an apathische Soldaten, an brennende Kraftfahrzeuge und Pferdegespanne sowie an tödlich verwundete Männer, denen kein Arzt mehr hätte helfen können, selbst dann nicht, wenn tatsächlich ein Arzt vor Ort gewesen wäre.
Er erinnert sich aber auch an eine unglaubliche Begegnung, die so gar nichts mit Kampfhandlungen oder Not und Elend an der Front und in zerbombten Städten zu tun hat: „Plötzlich brauste von der Hauptstraße her ein US-Jeep, kratzte die Kurve an unserem Hauseck und stoppte im Höfle vor Wagners Haus. Es herrschte große Sorge, was da passiert sein könnte. Doch wie groß war die Freude und Erleichterung! Dem Jeep entstieg der Soldat Alex. Der US-Verwandte der Wagners. Er kannte den Weg noch von einem Besuch aus der Vorkriegszeit.“
Wann immer in den folgenden Tagen und Wochen weitere US-Soldaten durch Hepsisau fuhren, folgten die entsprechend freundlichen Begegnungen mit den Kindern im Ort, wie sie in vielen Erinnerungen auftauchen: Die Kinder bekamen Kaugummi und lernten dabei auch ihre ersten englischen Wörter. Nicht weniger begehrt waren Zigaretten – und sei es auch in Form von Kippen, die die Soldaten wegwarfen: Alles wurde eingesammelt und nach Hause getragen, damit der Vater die Kippen „vollends rauchen“ konnte.
Gefährliche Funde
Weitaus gefährlicher war das Spiel mit Munitionsresten, mit denen die Kinder zündelten. Explosives Material war nahezu überall zu finden. In Hepsisau schafften es die Kinder und Jugendlichen offenbar, ihre gefährlichen Funde kontrolliert zu sprengen.
Mit ganz anderen „Resten“ sah sich Wilhelm Braun schließlich als junger Mann konfrontiert, mit Anfang 20: Wie es sein eigener Vater am 22. April gemacht hatte, war es auch sechs Soldaten „aus dem Rheinland“ ergangen. Während einer Rast im Gasthaus „Lamm“ hatten sie im allgemeinen Chaos beschlossen, für sich persönlich den Krieg zu beenden und Zivilkleidung anzulegen. Auch ihre gesamten militärischen Papiere ließen sie bei dieser Gelegenheit in Hepsisau zurück.
Wilhelm Braun berichtet jetzt, Jahrzehnte später: „Diese ganze Ansammlung von Papieren fand der Lammwirt Wilhelm Elser Ende der 1950er Jahre in einem Schuppen und übergab mir die Dokumente, um sie an die früheren Soldaten zurückzuschicken.“
Alte oder neue Heimat
Über die Einwohnermeldeämter hat Wilhelm Braun daraufhin die Adressen ermittelt, sodass er die Unterlagen tatsächlich zurückschicken konnte. Von allen sechs Männern erhielt er in Dankschreiben auch „Berichte, wie sie sich von Hepsisau aus auf unterschiedliche Weise, chaotisch und abenteuerlich, in ihre Heimat durchgeschlagen haben und dort gesund angekommen sind“.
Gerade dieses Beispiel zeigt noch einmal, dass es den einen Tag, an dem der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist, so nicht gab. Schon Wochen vor und teilweise auch Jahre nach dem 8. Mai 1945 gab es für jeden einzelnen Menschen das jeweils eigene Kriegsende – sei es die Rückkehr in die Heimat oder die Ankunft in einer neuen Heimat, nachdem Flucht und Vertreibung überstanden waren.