Rolf S. hat am 14. November von einem Tag auf den anderen alles verloren. Seinen Sohn Luca (31), der von einem Mieter in seinem Haus in der Esslinger Innenstadt erschossen wurde, bevor er sich selbst das Leben nahm; sein Haus, weil der 61-jährige Tatverdächtige es angezündet hat und damit auch fast alle Habseligkeiten von Rolf S. zerstörte, der in dem Haus ganz oben wohnte und von Polizei und Feuerwehr gerettet werden konnte. Die Kleider, die er trägt, haben ihm Freunde gegeben.
Die schrecklichen Ereignisse erschüttern Esslingen, es wird auch am Wochenende danach viel darüber geredet. Zu einigen Dingen möchte sich Rolf S., der seinen Nachnamen nicht preisgeben möchte, äußern. Für den unvorstellbaren Verlust, den er erleiden musste, wirkt er bemerkenswert gefasst. Vielleicht liegt das auch am starken Rückhalt seiner Freunde – momentan wohnt er bei ihnen in Stuttgart-Hedelfingen über den Büroräumen, in denen das Treffen mit ihm stattfindet.
„Nichts holt meinen Sohn ins Leben zurück“
Rolf S., Vater des getöten 31-Jährigen
„Nichts holt meinen Sohn ins Leben zurück“, sagt Rolf S., aber damit ihm angemessen gedacht wird, möchte er dennoch an die Öffentlichkeit gehen und seine Sicht der Dinge schildern. Zumal ihm manche Schlagzeile nach der Tat missfallen hat. „Mutmaßlichem Täter drohte die Zwangsräumung seiner Wohnung“ – als ob das eine Entschuldigung für das Verbrechen wäre, sagt S.
Ein Verbrechen mit Ankündigung sei es gewesen, so sieht es der Hausbesitzer und Vermieter des Tatverdächtigen. Nach seinen Worten haben Staatsanwaltschaft und Polizei davon gewusst, dass der mutmaßliche Täter mit selbst gebauten Waffen hantierte, damit vor einem ehemaligen Mieter geprahlt und S. und die Familie mehrfach mit dem Tode bedroht habe. Dabei sollen nach S.’ Darstellung Sätze gefallen sein wie: „Erst bringe ich Deinen Sohn um – das tut der Familie am meisten weh – und dann fackele ich Dein Haus ab.“ Warum es trotzdem zu keinem Durchsuchungsbeschluss kam, ist dem Vater nach eigenen Angaben ein Rätsel.
Manche Vorwürfe, die Rolf S. erhebt, lassen sich zunächst nicht überprüfen. Er gibt den Inhalt mündlicher Gespräche mit Beamten aus seiner Erinnerung wieder, die Behörden-Versäumnisse nahelegen, aber wahrscheinlich nicht alle protokolliert wurden. Zur Aufarbeitung der Vorgeschichte haben sich die Behörden bislang nicht geäußert.
Rolf S., Inhaber einer Medienagentur in der Esslinger Innenstadt, fragt sich, ob die Behörden die Drohungen ernst genug genommen haben. Ihm gehe es nun darum, etwas dazu beizutragen, dass Strafverfolgungsbehörden in vergleichbaren Situationen künftig sensibler reagierten. Das sei er seinem Sohn schuldig, sagt er.
Sohn plante seine Hochzeit im nächsten Jahr
Luca S. und seine 32-jährige Freundin, die zur Tatzeit ebenfalls vor Ort war und ihr Leben wahrscheinlich nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnte, planten nächstes Jahr zu heiraten. Die Frau liegt derzeit schwer verletzt im Krankenhaus. „Ich wollte Enkelkinder“, sagt S. Jetzt muss der 76-jährige Vater seinen Sohn auf dem Esslinger Ebershaldenfriedhof neben dem Grab der vor einem Jahr verstorbenen Mutter beerdigen. Einen Termin für die Beerdigung gibt es noch nicht.
Luca S. hatte noch viele Pläne im Leben, wie sich der Vater erinnert. Nach dem Abitur und einer Lehre zum Groß- und Einzelhandelskaufmann entdeckte der junge Mann die Gastronomie für sich, er galt als begnadeter Koch. Er arbeitete im Servicebereich einer Esslinger Bar, seine große Leidenschaft war aber die Kaffeerösterei. In einem im Stadtteil Oberesslingen ansässigen Unternehmen wollte er beruflich durchstarten, erzählt sein Vater. An der B10 hängt ein großes Werbebanner dafür. Seine Träume wird Luca S. nie verwirklichen können.
Stuttgarter Kickers legen Kränze nieder
Am Kronenhof ist seit Freitag auch die Verbundenheit des Fußballvereins zu sehen, dem sich der 31-Jährige zugehörig fühlte. Andere Fans der Stuttgarter Kickers haben dort Trauerkränze niedergelegt. Bei einer Spendensammelaktion des Vereins für die Hinterbliebenen sind bereits mehr als 10.000 Euro zusammengekommen.
„Vor neun Jahren habe ich das Haus gekauft“, sagt Rolf S. Der Tatverdächtige habe damals schon dort gewohnt, zunächst sei das Verhältnis mit dem Mieter unproblematisch gewesen. Doch Jahre später hätten die verbalen Provokationen und Beleidigungen des Mieters begonnen; diese seien immer weiter eskaliert. Schließlich wusste sich Rolf S. nicht mehr anders zu helfen, als das Mietverhältnis zu kündigen, in dessen Folge die Zwangsräumung vom Gericht angeordnet wurde. Diese hätte am Freitag durchgesetzt werden sollen – einen Tag nach der Tat.
Hier decken sich die Aussagen des Vaters mit dem aktuellen Ermittlungsstand. So ist auch unstrittig, dass der Tatverdächtige kein unbeschriebenes Blatt und polizeibekannt war. „Wenn man ihm im Flur begegnete, wurde man angepöbelt“, sagt ein Freund des Vaters. Andere Bekannte, die das Haus Am Kronenhof besucht hatten, schildern ähnliche Szenen. 2023 soll es auch zu Handgreiflichkeiten zwischen Vermieter und Mieter gekommen sein, wobei ersterer an der Hüfte verletzt wurde und operiert werden musste.
Polizei war wohl mehrfach vor Ort
Das für den Kreis Esslingen zuständige Polizeipräsidium Reutlingen hatte auf Nachfrage mitgeteilt, mehrfach in das Haus gerufen worden zu sein, das heute in Schutt und Asche liegt. Auch die selbst gebastelten Waffen wurden von der Polizei gefunden – und der Umstand bestätigt, dass der Sohn und der Mieter durch Schussverletzungen und nicht durch das Feuer starben.
Die Ermittlungen zum genauen Ablauf der Tat dauern nach Polizeiangaben an. Es gibt offene Fragen, die auch Rolf S. umtreiben – etwa, wie der mutmaßliche Täter überhaupt in die Wohnung des Sohnes gelangen konnte. Aber viel ist von dem Haus nicht mehr übrig. Die Löscharbeiten gestalteten sich schwierig. Aktuell prüft die Stadt die Statik der umliegenden Häuser, deren Bewohner vorübergehend ausziehen mussten. Rolf S. war seitdem nicht mehr vor Ort.