Ausstellung
Die Kunst der leisen Spuren

Gunda Kerner erkundet im Lenninger Schlössle das Eigenleben des Papiers. In „Rein – Weiss“ zeigt sie Arbeiten, die aus Stille, Struktur und Licht poetische Spannung schöpfen.

Gunda Kerners Ausstellung ist bis zum 15. November im Schlössle Lenningen zu sehen.  Foto: Florian Stegmaier

Papier ist gnädig“, sagt Gunda Kerner, „aber es fordert auch meine Geduld heraus“, fügt sie schmunzelnd hinzu. Über drei Monate hat die Schlierbacher Künstlerin Zwiesprache mit dem Papier gehalten. Die handgeschöpften Früchte ihrer Arbeit sind nun unter dem Titel „Rein – Weiss“ im Lenninger Schlössle zu sehen.

Gnädig ist Papier, weil es vieles mitmacht – falzen und wickeln, reißen und schneiden. Dennoch lässt sich nicht gegen den Willen des Papiers arbeiten. Da kommt die Geduld ins Spiel. Ebenso die Freude am Entdecken, die Lust am Experiment – beides ist Kerners Bildern und Objekten anzusehen. Sie bilden den Prozess ihrer Entstehung ab, stellen ihre Spuren als ästhetische Qualitäten aus. Linien und Muster ziehen sich durch die reinweißen Arbeiten. Es ist das Spiel von Licht und Schatten, das ihnen Leben und Kontur verleiht. Feinsinnige Texturen sensibilisieren die Betrachter, genaues Hinschauen wird belohnt. Achtsamkeit ist eine Tugend, die Kerner wichtig ist. Achtsam sein – nicht nur im Gegenüber mit der Kunst, auch im Umgang mit Menschen und der Natur. Denn die Ausstellung kann auch als ästhetischer Brückenschlag gelesen werden – von der reinen Kunst hinüber ins Gesellschaftliche und Ökologische. So ist etwa eine Reihe von Werken mit konischen Formen bestückt. Sie muten organisch an, Häuser von Meeresschnecken vielleicht. Gunda Kerner nennt sie Nester. Kleine individuelle Behausungen, manche verschlossen, andere durchbrochen. So singulär sie dastehen, bilden sie doch ein gemeinsames Feld. Wie im wahren Leben: Individuen als soziale Körper – stets bemüht, die Balance zwischen Öffnung und Rückzug neu zu bestimmen. Schnell wird deutlich: In ihrer kontemplativen Ruhe genügen Kerners Arbeiten sich selbst – und weisen zugleich weit über sich hinaus. Doch die gesellschaftliche Lesart ist nur ein Angebot. Die Betrachter bleiben frei, Verknüpfungen herzustellen und weiterzudenken. Etwa die im Papier allgegenwärtigen Prägungen als biografische Spuren zu deuten. Auch die „Visionen“ betitelte Installation fordert zu Deutungen heraus. Charmant ungelenk schwingen sich hier Papierobjekte in die Höhe. Die Künstlerin hat sie aus Fasern von Hanf, Weizenstroh und Rohrglanzgras gefertigt – nachhaltige Alternativen zu Holz in der Papierherstellung. Der holprige Weg nach oben spürt den Mühen nach, die zwischen Vision und Verwirklichung liegen. Startups mit neuen, umweltschonenden Produkten können davon ein Lied singen. Dabei wäre es höchste Zeit, meint Kerner, dass solche Innovationen greifen und ein Umdenken in Gang kommt. Dass die Krise des Ökosystems eine virulente Sache ist, führt ihre raumfüllende Installation im Museum für Papierkunst vor Augen. Fragile Papierröhren auf dem Boden erinnern an Baumstämme. Darüber schweben runde Formen, inspiriert von Sauerstoffpartikeln. „Auf die Spitze getrieben“ heißt diese Arbeit, die den Wald als ebenso kostbare wie zerbrechliche Ressource würdigt. Als Energiespeicher und Erholungsort, den der Mensch achten soll. „Papier ist gnädig, aber es fordert Geduld“ – was Gunda Kerner eingangs sagt, entfaltet sich in ihren Arbeiten zur Haltung: Geduld als schöpferische Kraft. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt in ihrer Kunst nicht nur die Sprache des Materials – sondern auch eine Einladung, achtsamer zu werden gegenüber der Welt, die uns trägt. Die Ausstellung „Rein – Weiss“ ist bis 15. November in den Räumen der Gemeindebücherei Lenningen zu sehen.

Eine Midissage mit Künstlergespräch findet am Freitag, 31. Oktober, um 19 Uhr statt. Gunda Kerners Installation im Museum für Papier- und Buchkunst ist bis 22. Februar 2026 zu sehen.