Mitten in Dettingen liegt ein Laden voller Geschichte: Einst war die heutige Galerie Diez ein Kolonialwarenladen, wie er früher in vielen Dörfern als soziale Drehscheibe diente. Neben heimischen Produkten wurden hier Kaffee, Zucker, Schokolade oder Tabak aus Übersee verkauft – Waren mit exotischem Reiz, die zugleich eng mit kolonialer Ausbeutung verknüpft waren. Nun ist das ehemalige Ladengeschäft selbst Thema einer Ausstellung.
„Neues im Kolonialwarenladen“ heißt die Gruppenschau des Esslinger Künstlervereins „artgerechte Haltung“, die sich mit der schillernden Vergangenheit des Ortes auseinandersetzt und aktuelle Fragen nach globaler Verantwortung stellt. Rosemarie Beißer rückt den Kolonialdiskurs in den Fokus. Eine Missionsspardose in Form eines dankbar nickenden schwarzen Kindes wird bei ihr zum Symbol ungleicher Machtverhältnisse. Auch Norbert Edel greift historische Bilder auf: Er kombiniert alte Fotos malerisch und gibt den zu Warennamen degradierten „Javaansen Jongens“ wieder Gesichter.
Regine Schaupp und Tim Stefan Heger brechen mit ihrem Postkartenständer gezielt stereotype Sehnsuchtsbilder und zeigen: Kolonialisierung und Unterwerfung wirken bis heute fort. Evi Wietschorkes glänzende Kakaobohnen aus glasierter Keramik verweisen auf süße Verlockungen und bittere Produktionsbedingungen. Margit T. Schranner gießt Kolonialwaren wie Kaffee oder Zucker in Wachsformen und entzieht sie so der Konsumkette. Dagmar Roos’ Fotos aus Äthiopien würdigen dagegen die selbstbewusste Kaffeekultur des Landes.
Erinnerungen an Vergangenes
Dass exotischer Glanz oft mit Bruch und Zerstörung einhergeht, machen Bettina Funkes Scherbeninstallationen deutlich. Sebastian Koops’ rätselhafte Artefakte stellen die Frage, wie Kulturgüter museal angeeignet und ihres ursprünglichen Gehalts beraubt werden. Auch Erinnerungen an die lokale Vergangenheit kommen zur Sprache. Micha Hartmann hat auf einer alten Schreibmaschine ein Gespräch mit Emil Diez dokumentiert – der ehemalige Betreiber des Dettinger Geschäfts ist inzwischen 101 Jahre alt. Kornelia Pfütze blickt mit einem altmeisterlichen Ölgemälde auf den Alltag im Kolonialwarenladen zurück. Eine ähnliche nostalgische Note schlägt der Brause-Schriftzug von Sibylle Burr an. Vom Wandel eines Produkts erzählt Angela Hildebrandt mit aufgeblühten Feinstrumpfhosen – einst ein Luxusgut, heute Massenware. Bertl Zagst inszeniert aufgerollte Krawatten wie Reliquien in einem Erste-Hilfe-Kasten und beleuchtet den kulturellen Wandel von Distinktion und Konformität.
Auch die Präsentation selbst wird reflektiert: Wolfgang Scherieble untersucht, wie Waren und Kunst inszeniert werden und was das mit unserer Wahrnehmung macht. Die Teebeutel mit heimischen Kräutern von Barbara Lörz erinnern an das verlorene Wissen über regionale Pflanzen. Julia Brielmann verwandelt Gemüsenetze in feine Wachsfiguren und hebt so Alltagsgegenstände ins Poetische. Gaby Burckhardt schließlich unterzieht gebrauchte Papiertüren einem wertschöpfenden Prozess – Recycling wird hier zur Objektkunst.
So wird der ehemalige Kolonialwarenladen zu einem Denkraum, in dem Konsumkritik, Erinnerungskultur und Fragen globaler Verantwortung ineinandergreifen. Trotz aller kritischen Perspektive bleibt der Ort ein Raum der Begegnung und des Austauschs – ganz in der Tradition seiner ursprünglichen Funktion.
Die Ausstellung „Neues im Kolonialwarenladen“ ist bis Sonntag, 27. Juli, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr in der Galerie Diez in Dettingen zu sehen.

