Gastronomie
Gaisburger Marsch statt Häppchen

Der Mostbesen in Erkenbrechtsweiler ist ein Stück Familiengeschichte und zugleich ein Ort urschwäbischer Gemütlichkeit. Die Institution wird 20 Jahre alt.

Der Mostkrug lässt ihn nicht mehr los. Vor 20 Jahren hat Thomas Dieterich ihn eröffnet. Foto: Kai Müller

Da hat wohl nicht nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestaunt. Als er bei seiner Sommerwanderung 2017 im Mostkrug in Erkenbrechtsweiler Station machte, standen nicht nur Sonnenblumen, sondern auch Schüsseln mit Gaisburger Marsch auf dem Tisch. „Eigentlich waren Häppchen bestellt“, erinnert sich Thomas Dieterich an ein Gespräch mit Kretschmanns Büro im Vorfeld. Doch der Mostkrug setzte auf schwäbische Kost und traf voll ins Schwarze. „Endlich mal keine Häppchen“, soll der Ministerpräsident gesagt haben. Nicht nur da hat Thomas Dieterich einen guten Riecher bewiesen, sondern auch vor 20 Jahren, als er das alte Bauernhaus an der Kirchstraße 9 übernommen hat. „Reiß es doch ab“, haben ihm viele geraten. Doch der heute 67-Jährige hatte schon immer eine ganz besondere Beziehung zu dem alten Bauernhaus. Schließlich ist er dort im Juni 1957 auf die Welt gekommen. Erbaut hatten es die Großeltern. Zuletzt lebte Dieterichs Tante Mina dort. Großvater Karl war nach dem Krieg Bürgermeister der Gemeinde Erkenbrechtsweiler.

 

Ich war nie ein Kneipengänger.

Thomas Dieterich

 

Ein Abriss kam für Dieterich nicht infrage, er hatte eine ganz andere Idee: eine Besenwirtschaft. „Dabei war ich gar nie ein Kneipengänger“, sagt der gelernte Konditor und Bäcker schmunzelnd, der später auch als Informations- und Mikroelektroniker arbeitete. Freunde und Familie haben schließlich mitangepackt und das Bauwerk auf Vordermann gebracht. Die Farbe an den Fensterläden hält bis heute: „Wir haben uns viel Mühe gegeben“, sagt Dieterich. Der Mostkrug öffnete schließlich im November 2004 seine Pforten. 20 Jahre ist das her und doch scheint es eine ganz andere Zeit gewesen zu sein. „Zu Beginn sind fünf Leute am Sonntag gekommen“, erzählt Dieterich. Heute kommen 100 Besucher an einem normalen Sonntag. Der Wirt empfiehlt dringend, zu reservieren.

Die Stuben tragen Namen wie "Sofazimmer" oder "In der Schlafstube". Foto: Kai Müller

Das Lokal und sein Inhaber sind zu einer Institution geworden. „Mit 702 Metern über dem Meeresspiegel ist es weltweit der höchst gelegene Mostbesen“, sagt der 67-Jährige lachend. Dieterich ist einer, der gern schafft. Einer, der um Hilfe gebeten wird, wenn etwas nicht funktioniert. Eine Zeit lang hat er neben dem Mostkrug auch den kleinen Lebensmittelladen seiner Eltern im Ort geführt. Und ob das nicht schon genug ist: Vier Wochen im Jahr verkaufte Dieterich zehn Jahre lang auch noch Schnitzbrot auf dem Weihnachtsmarkt.

Gäste aus China und Papua-Neuguinea

Man wundert sich, wo Dieterich die Energie hernimmt. „Ich bin voll ausgelastet“, sagt der Gastronom. Gleichzeitig will er keine Minute missen, die er im Mostkrug verbringt: „Ich mache das brutal gern.“ Diese Herzlichkeit kommt offenbar bei den Besuchern an, wie ein Blick in die Gästebücher zeigt. „Der Mostkrug ist der 200. Besen im Besenheftle. Er ist der Originellste“, heißt es darin unter anderem. Einträge aus aller Herren Länder finden sich in den Büchern, Gäste aus Papua-Neuguinea oder Australien haben sich dort schon verewigt. Auch chinesische Geschäftsleute der Firma Heller waren zu Gast. Um Sauerkraut und Schlachtplatte möglichst urig zu kredenzen, sei er nach Hause geeilt, um den großen Topf zu holen – und Tabasco und Chili, erzählt Dieterich. Der SWR drehte mehrmals im Lokal, eben weil die unterschiedlichen Gaststuben eine urschwäbische Gemütlichkeit ausstrahlen. Von Bruder Oskar, einem weit gereisten Koch, hat Dieterich das Kochen gelernt. Der Mostbesen ist auch eine Familienangelegenheit. Bruder Raimund hilft beim Most machen, Bruder Hans-Jürgen, der Bäckermeister, beim Zwiebelkuchen backen. Ehefrau Kasmira hält mit dem Mostkrug-Team den Laden zusammen. Auch Dieterichs verstorbene Mutter Barbara wirkte viele Jahre mit: „Sie hat stundenlang Sauerkraut gekocht.“

Foto: Kai Müller

Die ersten vier Jahre war der Mostkrug ein richtiger Besen. Danach beantragte Dieterich eine Gaststättenkonzession. An den Öffnungszeiten hat sich wenig geändert. Mezzo Mix und Co stehen seit 20 Jahren nicht auf der Speisekarte: „Ich rate dann immer zu Johannisbeerschorle. Das hat fast die gleiche Farbe“, sagt Dieterich. Dafür hat der Wirt nichts dagegen, wenn die Kundschaft sich mit schmutzigen Wanderstiefeln in die Stuben niederlässt, die Namen wie „Sofazimmer“ oder „In der Schlafstube“ tragen. Auch Vierbeiner sind willkommen.

Most in zehn verschiedenen Varianten

Den Most bietet Dieterich derzeit in zehn verschiedenen Varianten an. Dieterich blickt da gern nach Amerika, genauer gesagt nach Michigan, einem der größten Apfelanbaugebiete in den USA. Dort wohnt Hans Dengler, der vor einigen Jahren zu Besuch in seiner alten Heimat war und im Mostkrug landete. Einmal im Jahr kommt er zu Besuch und hat immer wieder neue Rezepte im Gepäck, wie ganz aktuell Apfelmost mit Hopfen oder Birne mit Ingwer. Most gab es sogar im Jahr 2017, auch wenn Apfel-Nachschub aus Frankfurt nötig war: „Da war die komplette Ernte verfroren. Es gab weit und breit kein Obst.“ Vier Tonnen Obst karrte er schließlich aus Hessen nach Erkenbrechtsweiler.

 

Alles wird frisch gekocht. Es gibt bei mir keine Päckle.

Thomas Dieterich

 

Der Most ist das Markenzeichen, doch die Küche bietet noch mehr: „Alles wird frisch gekocht. Es gibt bei mir keine Päckle“, sagt Dieterich und lobt sein kleines Team: „Meine Mitarbeiter sind Gold wert.“ 58 Plätze stehen auf zwei Etagen zur Verfügung. Im obersten Stockwerk gibt es noch eine Ferienwohnung, die ist 2013 dazugekommen. Die ein oder andere Idee hat Dieterich schon noch, auch wenn es an der Zeit fehlt. Geführte Wanderungen anzubieten, wäre eine solche. Aber, ob dafür Zeit bleibt. Wer weiß, vielleicht hat ja Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach seiner Amtszeit Lust, diese Rolle zu übernehmen. Dieterich würde dann auch wieder auf Häppchen verzichten.

Der Mostkrug, Kirchstraße 9, in Erkenbrechtsweiler ist von Oktober bis Februar sowie Juni und Juli geöffnet. Die Öffnungszeiten: Freitag und Samstag von 18 bis 23 Uhr und Sonntag (und fast alle Feiertage) von 12 bis 19 Uhr.