Diese Warnung war nicht nötig: „Wenn ich nervös bin, rutsch‘ ich ins Schwäbische“, sagte Chefarzt Heiner Stäudle zu Beginn des Rundgangs am Samstagmorgen durch die neue Zentrale Notaufnahme (ZNA) in Nürtingen, die im November eröffnen soll. Notfalls hätte sicherlich der neben ihm stehende Ministerpräsident Winfried Kretschmann übersetzen können, aber das war gar nicht nötig. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verstand jedes Wort und zeigte sich sehr interessiert am Konzept.
Es war ein politisches Gipfeltreffen in der Medius-Klinik am Samstag, denn auch der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha war nach Nürtingen gekommen. Nicht nur die Notfallspange mit den beiden Schockräumen, die eine Einheit mit dem Computertomografen (CT)-Zimmer und dem Röntgenarbeitsplatz bilden, lobte der SPD-Politiker: „Das ist sein sehr großer und moderner Schockraum. Das sieht man sonst nur in Unikliniken.“ Auch sonst zeigte er sich sehr angetan, etwa davon, dass Notaufnahme und kassenärztliche Notfallpraxis künftig einen gemeinsamen Anmeldetresen haben und damit das Paradebeispiel für ein Integriertes Notfallzentrum (INZ) sind.
Da geht die Post ab.
Ministerpräsident Kretschmannzu den Reaktionen auf die geplante Schließung der Kirchheimer Notfallpraxis
Man wolle in Gesprächen mit der kassenärztlichen Vereinigung darauf hinwirken, dass die Sprechzeiten für die Notfallpraxis wieder ausgeweitet werden, sagte Stäudle. Derzeit ist an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Nachdem publik wurde, dass die Notfallpraxis in Kirchheim geschlossen werden soll, ist das ohnehin ein heißes Eisen. „Da geht die Post ab“, sagte Kretschmann. Aber das könne man ja später noch in kleinerer Runde besprechen. Die drei Politiker zogen sich für einige Zeit auch zu einem Sechs-Augen-Gespräch zurück, bevor sie wieder vor die Presse traten.
Dabei ging es natürlich um die Krankenhausreform, die jüngst den Bundestag passierte. Doch die Reform stößt bei einigen Ländern auf Kritik. Auch Minister Lucha hatte vor wenigen Tagen durchblicken lassen, dass Baden-Württemberg den Vermittlungsausschuss anrufen will. Eben weil man befürchtet, dass Baden-Württemberg oder ganz konkret den Medius-Kliniken die Reform zum Nachteil gereicht, weil man sich eben schon viel früher auf den Weg der Spezialisierung der einzelnen Häuser gemacht hat. „Da stellt sich Baden-Württemberg auf die Hinterbeine“, sagte Kretschmann. Für diesen Vorsprung dürfe man nicht bestraft werden. Der Landkreis stehe beispielhaft für diese Entwicklung. Er hoffe, dass man ein „gutes Einvernehmen“ mit dem Bund finde.
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha über die bereits erfolgte Verringerung der Bettenzahl im Land und im Kreis
Was die Zahl der Betten betrifft, befinde sich Baden-Württemberg 20 Prozent unter dem Bundesschnitt, sagte Lucha. Im Landkreis Esslingen liege man noch darunter. In konkreten Zahlen heißt das: Im Bundesschnitt kommen auf 100.000 Einwohner 590 Betten, im Land sind es 480 und im Kreis 360. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, konstatierte Lucha. Schließlich habe man in den vergangenen Jahren die Zahl der Kliniken von 270 auf unter 200 verringert. Er verwies darauf, Baden-Württemberg sei Taktgeber bei der Krankenhausreform gewesen. Man dürfe aber jetzt „nicht als Verlierer vom Spielfeld gehen“. Geklärt werden müssten Themen wie Planungshoheit, ökonomische Absicherung und wie sich die Versorgung in den Verbünden darstellt. Man werde bis zum 22. November einen „offenen Dialog“ führen. An diesem Tag findet die Bundesratssitzung statt. Wie genau sich das Land verhalten wird, da wollte sich Lucha nicht in die Karten schauen lassen. Gleichwohl gab er zu verstehen, werde das Land, wenn die Ziele nicht erreicht werden, den Vermittlungsausschuss nur „sehr punktuell“ anrufen.
Nur mittelmäßige Ergebnisse bei der Versorgung von Krebspatienten
Lauterbach verzog bei den Ausführungen der beiden Grünen-Politiker keine Miene. Er nannte die Medius-Klinik „ein zukunftsfähiges Beispiel für die Zusammenarbeit eines Klinikverbunds.“ Es bestehe Konsens, dass die Krankenhausreform gebraucht werde. Man sei auf der Zielgeraden und dabei, das Gesetz durchzusetzen und somit aus dem „Hamsterrad einer durchökonomisierten Medizin“ herauszukommen. Deutschland habe die teuerste Krankenhausversorgung in Europa, liefere aber nur mittelmäßige Ergebnisse etwa bei der Versorgung von Krebspatienten. Lauterbach machte deutlich, dass eine „Verwässerung der Reform“ durch den Bundesrat für ihn nicht infrage komme: „Dann gibt es keine Reform.“ Angesprochen darauf, wie er denn für genügend Pflegekräfte sorgen wolle, verwies er auf die Pflegegesetze, die in seiner Amtszeit auf den Weg gebracht wurden: „Damit wird es möglich, mehr Pflegekräfte zu gewinnen und zu halten.“
Beim Gespräch waren zum Teil auch der Esslinger Landrat Marcel Musolf, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Medius-Klinik, und die beiden Klinik-Geschäftsführer Jörg Sagasser und Sebastian Krupp. „Wir konnten unsere kommunale Position deutlich machen“, so Musolf. Dadurch, dass man den Reformprozess schon erfolgreich gestaltet habe, dürfe man durch die neue Reform nicht schlechter als zuvor gestellt werden. Er habe den Eindruck, dass man das Lauterbach verständlich habe machen können. Sagasser hoffe, dass in den nächsten Wochen noch einige Dinge im Sinne der Medius-Klinik modifiziert werden. Gerade die Planungshoheit der Bundesländer dürfe nicht verloren gehen, ergänzte Krupp. Schließlich habe man einen erfolgreichen und beispielhaften Weg begangen.
Keine neuen Neuigkeiten gab es an anderer Stelle: Wie soll die massive Unterfinanzierung aller Kliniken gelöst werden? „Die aktuellen Defizite können nicht aufgefangen werden“, ergänzte Krupp. Das brenne auch der Medius-Klinik unter den Nägeln. Die Krankenhausreform greife schließlich erst in einigen Jahren. „Es ist widersinnig, dass aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung selbst Kliniken, die sich neben einer hohen medizinischen Behandlungsqualität auch ein wirtschaftlich stabiles Fundament erarbeitet haben, keine auskömmlichen Ergebnisse mehr erwirtschaften können“, ergänzte Musolf. Vor diesem Hintergrund sei eine nachhaltige Vergütung der Betriebskosten noch vor Umsetzung der Reform notwendig.