Ein Foto mit Hähnchen? Kein Problem, sagt Leonie. Kein Problem? Das Hähnchen ist da ganz anderer Meinung. Aufgeregt rennt es durch den großen Auslauf, der Blick drückt ernsthaftes Missfallen aus. Nein, Hühner sind keine Kuscheltiere. Aber sie sind durchaus Outdoor-Tiere. Denn den Auslauf, den sie auf dem Hofgut Tachenhausen haben, finden sie super. Er hat alles, was ein Huhn glücklich macht: Viel Platz, ein paar Unterstände, unter denen sie sich verstecken können, wenn ein Raubvogel im Anflug ist. Oder wenn drei Studentinnen versuchen, sie einzufangen.
Bei dem Projekt „Glückshähnchen“ der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) geht es natürlich auch gar nicht darum, auszutesten, wie anschmiegsam Hähnchen sind. Denn bei aller Niedlichkeit sind die Hähnchen Nutztiere und ihre Lebenszeit ist auf etwa 55 Tage begrenzt. In Tachenhausen jedoch geht es ihnen zu Lebzeiten sicher viel besser, als in so manchem professionellen Mastbetrieb, in denen es unterschiedliche Mastverfahren gibt. Statt drangvoller Enge gibt es hier eine Luxusunterkunft. Einen mobilen Hightech-Stall, der ganz auf die Bedürfnisse der Tiere zugeschnitten ist. Die Fütterung und das Trinkwasser werden über einen Computer gesteuert. Die Hähnchen können sich aussuchen, ob sie lieber im Stall, im Wintergarten oder doch auf der Wiese den Tag verbringen wollen.
Start mit 30 Tieren
Angefangen hat das Projekt vor etwa zwei Jahren mit 30 Tieren, die noch nicht in dem Exklusiv-Domizil, sondern in einem kleinen Stall mit Auslauf lebten. Die Studierenden beobachteten damals, wie sich die Tiere entwickeln, wenn sie nicht, in einem großen Stall unter beengten Verhältnissen leben müssen. Das Fazit: Sie entwickelten sich prächtig und brachten 1,9 Kilo Schlachtgewicht auf die Waage. Die Metzgereien, die den Studierenden die Hähnchen abgekauft hatten, waren mit der Qualität des Fleisches zufrieden. Geschlachtet wurde die erste Gruppe in Westerheim. Doch der Transport bedeutet Stress für die Hähnchen. Das wirkt sich wiederum auf die Qualität des Fleisches aus. Da war es gut, dass der Oberboihinger Landwirt Gerhard Beck inzwischen ein Schlachtmobil entwickelt hat, das er auch für seine eigenen eierlegenden Hennen einsetzt, wenn deren Legeleistung nachlässt. Beck schlachtet auch die Tachenhäuser Hähnchen.
Nach einem weiteren Versuch mit etwa 150 Hähnchen geht das Projekt nun also in die dritte Runde. Und immer noch geht es darum, herauszufinden: Was ist artgerechte Haltung? „Fütterung und Auslauf im mobilen Masthähnchenstall – so lautet die korrekte Bezeichnung des studentischen Forschungs- und Praxisprojekts“, sagt Leonie. Eine neue Gruppe Studierende, im zweiten Semester an der Hochschule, soll herausfinden, wie sich die Tiere entwickeln, wenn man ihnen wochenweise den Anteil ganzer Weizenkörner in der Futterration um zwei Prozent erhöht. Dazu wurden die Hähnchen in zwei Gruppen eingeteilt. Das Ergebnis dieses Versuchs steht noch aus, da der zweite Schlachttermin erst diese Woche ist.

Schaut man sich auf der Fläche um, sieht man im Freilauf verschiedene Unterstände. So ein Gerüst aus Baustahl, über das ein Tarnnetz gelegt wurde. Aber auch Holzgestelle werden den Hähnchen als Unterschlupf angeboten. Beides dient auch hier vor allem dem Schutz vor Raubvögeln. Doch welchen Unterstand bevorzugen die Hähnchen? „Genau das herauszufinden ist ebenfalls unsere Aufgabe“, sagt Leonie. Die Beobachtungen laufen noch. Dabei hilft auch die Wildtierkamera, die die Aktivitäten der Hähnchen im 210-Minuten-Takt aufzeichnet.
Das Interessante an diesem Projekt: Es geht hier nicht nur um den tierischen Aspekt. Denn am Ende des Versuchs muss eben auch eine Kalkulation erstellt werden. Futter, Einstreu, Beschäftigungsmaterial, Arbeitszeit und die Schlachtung – all das kostet Geld. Und diese Ausgaben bestimmen am Ende den Verkaufspreis. Abgerechnet wird pro Kilo. Damit deckt das Praxisprojekt neben eher landwirtschaftlichen Fragen eben auch die kaufmännische Seite ab – besser geht es eigentlich nicht für die Hochschule, die Wirtschaft und Umwelt im Namen trägt und als „höhere Landbauschule“ begonnen hat. „Es gibt viel, was rund um die Vermarktung alles beachtet werden muss. Die Landwirte, das ist uns bewusst geworden, müssen ganz schön knapp kalkulieren. Sie müssen ja wettbewerbsfähig sein“, sagte Sarah. Ihre Studienkollegin Charlotte bekennt, dass sie selbst auch lieber Fleisch kauft, wenn sie weiß, dass das Tier ein schönes Leben hatte. Für Leonie gilt das auch für die Eier, die es beim Landwirt Gerhard Beck gibt: „Man weiß einfach, wo sie herkommen“, sagt sie.
Mit Hühnern hatten Leonie, Sarah und Charlotte vorher noch nie etwas zu tun. Alle drei studieren im zweiten Semester das Fach Pferdewirtschaft. Und klar, jede von ihnen möchte nach dem Studium auch einen Beruf mit Pferden ergreifen. Dennoch halten sie das Projekt für lehrreich. „Wenn man einen eigenen Hof hat, stelle ich mir das sehr interessant vor, die aus diesem Praxisprojekt gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen“, sagt Leonie.
Tag des offenen Hofes
Wer das Masthähnchenprojekt kennenlernen möchte, hat am morgigen Samstag, 22. Juni, beim Tag des offenen Hofes in Tachenhausen die Gelegenheit dazu. Dann stellen Charlotte, Leonie und Sarah gemeinsam mit den anderen Projektbeteiligten die Hähnchen und ihren Hightech-Stall vor. Anlass ist das 75-jährige Bestehen der Nürtinger Hochschule für Wirtschaft und Umwelt. Die Veranstaltung bietet aber auch die Möglichkeit, sich über die Studiengänge an der HfWU zu informieren sowie einen Einblick in die angewandten Forschungsprojekte zu erhalten. Darüber hinaus besteht auch der Hof selbst seit 750 Jahren.