Aus welchem Grund sollte man sich mit dem Deutschen Bauernkrieg beschäftigen, der 500 Jahre zurückliegt? Um Parallelen zur Gegenwart zu erkennen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Parallelen hat man zu allen Zeiten hergestellt. Ob dabei immer die richtigen Schlüsse gezogen wurden, sei dahingestellt. Das war es, was der Historiker Dr. Steffen Seischab in der Owener Marienkirche bei seinem Vortrag zum Bauernkrieg vermitteln wollte: „Ich bin kein Experte für die Frühe Neuzeit. Aber mich interessiert, wie der Bauernkrieg im 19. und im 20. Jahrhundert im Gedächtnis der Menschen geblieben ist.“
Wie er die Zerstörung der Burg Teck beschreibt, das ist wirklich große Literatur.
Steffen Seischab über Wilhelm Zimmermann
Dennoch stellte er einen Bauernführer in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: Matern Feuerbacher. Ihm war es gelungen, den Bauernkrieg zu überleben – eher eine Seltenheit für den Anführer eines großen „Haufens“, wie man die Bauernscharen von 1525 bis heute nennt. Feuerbacher hat indessen nicht nur den Krieg überlebt, sondern auch den Prozess, der 1527/28 gegen ihn angestrengt worden war. Objektiv betrachtet, hat sich Feuerbacher durch eine sehr gemäßigte Haltung ausgezeichnet: Er setzte auf Verhandlungen statt auf Gewalt. Ob das jetzt aber als richtig oder falsch, als gut oder schlecht zu bezeichnen ist, ist eine ganz andere Frage, auf die es letztlich nur subjektive Antworten geben kann.
Geschichte der Sieger
Die Quellenlage ist zunächst eher dürftig, wie Steffen Seischab erwähnte. In der frühen Geschichtsschreibung des Bauernkriegs „existieren die ,tobenden Bauren’ des Jahres 1525 nur als anonyme Masse, die einer größeren Differenzierung nicht bedarf. Einen Matern Feuerbacher sucht man dort – ebenso wie die anderen Bauernführer – vergebens.“ Zunächst einmal sind es eben immer die Sieger, die Geschichte schreiben (lassen).
Christian Friedrich Sattler kommt in den 1730er-Jahren zu dem Schluss: „wo er [Feuerbacher] und sein Hauf nicht gewesen wäre, so wäre der Weinsperger Hauf, welcher all das Uebel und Mord angestellt hätte, in das Land gezogen und hätte dasselbe mit Morden und Brennen angefüllt, welches er und sein Haufe verhütet habe.“ Der Weinsberger Haufen hatte am 17. April 1525 bei der „Weinsberger Bluttat“ den Grafen Ludwig von Helfenstein und seine Begleiter brutal getötet. Für Matern Feuerbacher war spätestens dieses Ereignis Grund genug, die Gewalt nicht mehr als das geeignete Mittel anzusehen, um die berechtigten Ziele der Bauern erreichen zu können.
Die „Bibel zum Bauernkrieg“ sollte indessen Wilhelm Zimmermann schreiben, der „Bauernkriegs-Zimmermann“. Sein Werk schrieb er in den 1840er-Jahren, lange bevor er ab 1872 als Stadtpfarrer in Owen wirkte. Steffen Seischab forderte dazu auf, Zimmermann zu lesen: „Wie er die Zerstörung der Burg Teck beschreibt, das ist wirklich große Literatur.“ Für Zimmermann, selbst Paulskirchenabgeordneter, stelle Feuerbacher „den Prototyp des engagierten, aber trotz allen Protests braven und anständigen Bürgers dar“. Er habe schon 1525 mit den Mitteln der Paulskirche gearbeitet: „Ausloten von Spielräumen, geschicktes Verhandeln, Ringen um einen Kompromiss.“
Gerechtigkeit nach beiden Seiten
Für den Naberner Pfarrer Gustav Bossert war Feuerbacher ein Mann, „der sich einsetzte für ein über den Standesinteressen liegendes Ziel der Gerechtigkeit nach beiden Seiten, für den Schutz des Landes gegen fremde Eindringlinge und die Zusammenfassung des deutschen Volkes unter einer einheitlichen Leitung“. Geschrieben 1923, zeigen diese Worte vor allem die Bedürfnisse in der jungen Weimarer Republik im Inflationskrisenjahr auf.
Auch Friedrich Engels hat den Bauernkrieg auf seine Weise interpretiert. Die Gründe für das Scheitern sah er, Seischab zufolge, „wesentlich in der Angst der frühbürgerlichen Klasse vor einer sozialen Revolution der verarmten unterbürgerlichen Schichten“.
Günther Franz hatte im Nationalsozialismus eine ganz andere Sicht: Matern Feuerbach habe Agitatoren wie Jäcklein Rohrbach oder Hans Wunderer widerstanden. Steffen Seischab: „Offensichtlich hat hier das Bild vom bolschewistischen Volksverhetzer Pate bei Franz‘ Darstellung gestanden, und vor solchen üblen Subjekten suchte der brave Matern Feuerbacher die Bauern zu schützen.“
Auch das geteilte Deutschland interpretierte Matern Feuerbachers Rolle unterschiedlich: Der DDR-Historiker Max Steinmetz sieht ihn als Saboteur der bäuerlichen Aufstandsbewegung, während Hans-Martin Maurer ihn 1979 als den Urtypus des heutigen Ministerpräsidenten darstellt, wie Steffen Seischab berichtet: „Unter diesem Blickwinkel ist Feuerbacher auch nicht als ein Gescheiterter zu verstehen.“ Vielmehr könne er laut Maurer „für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, der erste aus Wahlen hervorgegangene Regent Württembergs gewesen zu sein“.
Das „gute alte Recht“
Das Bild rundet sich ab, wenn im Jubiläumsjahr 2025 die Akteure des Bauernkriegs zu Vorkämpfern für die moderne Demokratie stilisiert werden sollen. Was auch immer sie gefordert haben, stets ging es nur um die Wiederherstellung des „guten alten Rechts“. Die adlige Obrigkeit als solche wollten sie zu keinem Zeitpunkt abschaffen. Sie traten nicht für eine Gewaltenteilung ein und forderten demzufolge auch keine Legislative in Form demokratisch gewählter Parlamente.
Selbst die Zerstörung der Burg Teck galt nicht dem Adel als solchem, denn 1525 war sie längst kein Adelssitz mehr. Gleichwohl war sie ein Symbol des Adels, der – wie auch der Klerus – den Bauernstand zunehmend durch Abgaben und Frondienste belastete und überforderte. Auch in diesem Fall stand Matern Feuerbacher „an vorderster Front“. Und auch in diesem Fall ist er mit seinen Versuchen zur Deeskalation gescheitert: Hans Wunderer war es, der die Teck am 3. Mai 1525 niederbrennen ließ.
„Mehr Stadt als Burg“
Die alte Teck war übrigens im 19. Jahrhundert auch bildlich stets falsch dargestellt worden. Selbst im Logo des Teckboten hatte man zu Wilhelm Zimmermanns Zeiten wohl einfach eine alte Ansicht der Stadt Owen auf einen Berg versetzt und sie als Burg Teck „verkauft“. Das zeigt sich auch an Zimmermanns eigener Beschreibung: „Mehr wie eine Stadt als eine Burg mit ihren herrlichen Türmen und Toren, Zinnen, Mauern und Gebäuden erhob sich in einem länglichen Viereck die Teck, ein Sitz der Zähringer, auf dem breiten Gipfel des Teckberges“.