Das Provisorium hat ausgedient: Der Landkreis Esslingen plant, bis Ende dieses Jahres die umstrittene Flüchtlingsunterkunft auf dem Roser-Areal in der Esslinger Pliensauvorstadt zu räumen. Seit mehr als drei Jahren werden die einst von der Daimler AG genutzten Bürogebäude für die Unterbringung von Asylsuchenden benötigt – doch künftig offenbar nicht mehr.
Wie das Landratsamt auf Nachfrage mitteilt, soll der Mietvertrag mit dem Eigentümer der Immobilie fristgerecht zum 30. April 2026 auslaufen. „Es bestehen Verlängerungsoptionen, die aber nach aktuellem Stand nicht in Anspruch genommen werden“, informiert die Sprecherin der Kreisverwaltung, Andrea Wangner. Als Grund dafür führt sie „zurückgehende Zugangszahlen seit dem Jahr 2024 aus den nicht-ukrainischen Herkunftsländern“ an.
Ein Trend, der nach Angaben des Justizministeriums anhält: Zwischen Januar und März dieses Jahres wurden rund 3600 Asylsuchende, überwiegend aus Afrika und dem Nahen Osten, in Baden-Württemberg registriert – 26 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hinzu kommen knapp 6500 Geflüchtete aus der Ukraine.
Eine der größten Unterkünfte in der Region Stuttgart
Angemietet wurde der damals leer stehende Gebäudekomplex zwischen der Hedelfinger Straße und der Bundesstraße 10 kurz nach Ausbruch des Ukrainekrieges im Frühjahr 2022. Gut 800 Menschen hätten dort in der dicht besiedelten Pliensauvorstadt interimsweise ein Dach über dem Kopf erhalten können. Nicht zuletzt auf Druck aus der Esslinger Bürgerschaft und der Stadtverwaltung hin beschränkte der Landkreis die Kapazität der Gemeinschaftsunterkunft auf 550 Plätze – womit sie dennoch eine der größten Einrichtungen in der Region Stuttgart blieb. Inzwischen ist die Notunterkunft aber nur noch zur Hälfte belegt.
Derzeit leben auf dem Roser-Areal etwa 250 Geflüchtete in der sogenannten vorläufigen Unterbringung. Laut Wangner stammen die Asylsuchenden nahezu ausschließlich aus der Türkei (144) und Syrien (88). Flüchtlinge aus der Ukraine wohnen hier schon lange nicht mehr – und auch kaum noch in anderen Gemeinschaftsunterkünften des Kreises. Denn der überwiegende Teil von ihnen meldet sich direkt in den Städten und Gemeinden an, erläutert Wangner.
Die Nutzung der Gewerbeimmobilie war von Anfang an als Provisorium auf Zeit angelegt: Der Eigentümer will das 23 000 Quadratmeter große Grundstück seit langem städtebaulich aufwerten. Die Planungen dafür wurden wegen der Notlage des Kreises jedoch auf Eis gelegt: Mehrfach hatte das Landratsamt in den vergangenen drei Jahren den befristeten Mietvertrag verlängert.
Angaben zur Höhe der jährlichen Mietkosten für das Roser-Areal will die Kreisverwaltung nicht machen. „Die Vertragsinhalte unterliegen der Vertraulichkeit“, betont Wangner. Dass die Flüchtlingsaufnahme den Kreis finanziell strapaziert, ist indes kein Geheimnis. Im diesjährigen Haushalt sind insgesamt 50 Millionen Euro unter anderem für Unterbringung, soziale Betreuung, Integrationsmaßnahmen, Krankenkosten und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eingeplant. „Davon entfallen auf den Bereich Liegenschaften allein 30,8 Millionen Euro“, berichtet Wangner.
Kreis baut Unterbringungskapazitäten ab
Aktuell befinden sich rund 1850 Geflüchtete in der vorläufigen Unterbringung des Landkreises, der in 22 Kommunen insgesamt 34 Gemeinschaftsunterkünfte mit rund 3200 Plätzen unterhält. Deren Zahl verringert sich jedoch peu a peu: So wird neben der Notunterkunft auf dem Roser-Areal auch die Einrichtung in der Klosterallee in Esslingen-Weil mit 68 Plätzen nicht mehr benötigt. „Sie ist derzeit bereits nicht mehr belegt und wird im Laufe des Jahres zurückgebaut“, kündigt Wangner an.
Auch die Anmietung neuer Unterkünfte für die Flüchtlingsunterbringung ist laut Wangner gegenwärtig nicht geplant. Denn: „Zum jetzigen Zeitpunkt rechnen wir nicht mit steigenden Zugangszahlen“, teilt die Kreissprecherin mit. Doch ob die Entwicklung der letzten Monate tatsächlich einen längerfristigen Trend anzeige, sei bei der aktuellen weltpolitischen Lage sehr schwierig einzuschätzen, räumt Wangner ein. „Der Landkreis erhält von Seiten des Landes und des Bundes keine verlässlichen Prognosen, die als Planungsgrundlage dienen könnten. Offen ist auch, wie sich etwaige Maßnahmen der neuen Bundesregierung auswirken werden.“ Nach Ansicht der Landkreisverwaltung wird die Aufnahme von Geflüchteten eine Daueraufgabe bleiben.
Flüchtlinge im Kreis
Aufnahme: Nach Angaben des Landratsamtes waren Ende 2024 etwa 2150 Personen in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises untergebracht. Darunter befanden sich 179 Geflüchtete aus der Ukraine. Diese wohnten ausschließlich in Nürtingen (Hauber-Areal). Derzeit befinden sich circa 1850 Personen in der vorläufigen Unterbringung des Kreises. Die mit Abstand größte Gruppe sind Menschen aus der Türkei (rund 700) und Syrien (etwa 600).
Ukraine-Flüchtlinge: Seit Beginn des Krieges im Februar 2022 bis Ende 2024 wurden im Kreis Esslingen rund 5000 Geflüchtete aus der Ukraine in der vorläufigen Unterbringung des Landkreises aufgenommen und dann in die Anschlussunterbringung der Kommunen verteilt, informiert das Ministerium für Migration. Weitere rund 5000 Geflüchtete aus der Ukraine wurden direkt in den Städten und Gemeinden des Kreises aufgenommen.