Weilheim · Lenningen · Umland
Kunst aus dem Knast

In Weilheim sind Bilder von Häftlingen der JVA Stammheim zu sehen.

Die Ausstellung „Kunst hinter Gittern“ ist bis 27. Juli in der Villa Weilheim, Kirchheimer Straße 82, zu sehen. Geöffnet ist sie dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 15 Uhr. Foto: Florian Stegmaier

Weilheim. „Die Justizvollzugsanstalt ähnelt einem Dorf“, sagt Dieter Kümmel. Kümmel ist Gefängnisseelsorger in der JVA Stammheim. Die Welt hinter Gittern kennt er zu gut, als dass er sie idyllisch verklären wollte. Sein Vergleich zielt auf das Innenleben des Gefängnisses: „Es gibt dort Küche, Wäscherei, Krankenabteilung und Poststation.“ Auch eine Kfz-Werkstatt gehört dazu. Etwa 300 Mitarbeiter sind in der Verwaltung tätig. Und dann sind da noch 1.000 Insassen, allesamt Männer. Der Großteil von ihnen ist in Untersuchungshaft, der strengsten Form des Freiheitsentzuges: „In U-Haft warten die Männer unter Hochdruck auf Anklageschrift und Prozessbeginn“.

Im geschichtsträchtigen „Bau 1“, der einst die Führungsriege der RAF beherbergte, sitzen 300 Personen in kurzer Strafhaft, die bis zu eineinhalb Jahren dauern kann. „Das sind meist Menschen, die arm sind und ihre Strafe nicht bezahlen konnten“, erläutert Kümmel. Obdachlose etwa, die als Schwarzfahrer angezeigt wurden, weil sie in Bus und Bahn Zuflucht vor der Kälte gesucht hatten. Gemeinsam mit der Stuttgarter Künstlerin Katharina Schaaf hat Kümmel dieses Jahr bereits drei Zeichenworkshops für Gefangene angeboten. Schaaf ist auf Bleistiftzeichnungen spezialisiert. Das passt gut, sagt Kümmel, denn in der kargen Grundausstattung, die Häftlingen zugestanden wird, seien Papier, Bleistift und Radiergummi immerhin enthalten. Neun Quadratmeter hat eine Stammheimer Zelle. Kunst hilft, der bedrückenden Enge zu entfliehen: „Beim Zeichnen ist man bei sich selbst und zugleich in einer anderen Welt“. Einige Workshopteilnehmer brachten künstlerisches Know-how mit, zum Beispiel von der Arbeit im Tattoostudio. Andere konnten gar auf Ausstellungserfahrung verweisen. Auch ein wahres Naturtalent war dabei. Dem begabten Teilnehmer attestiert Schaaf künstlerische Hochschulreife. Dabei hatte er zuvor noch nie gezeichnet. Die Stammheim-Bilder waren unlängst in der renommierten Stuttgarter Brenzkirche ausgestellt.

Rund 60 Zeichnungen sind derzeit in der Weilheimer Villa zu sehen. Einige eifern großen Vorbildern nach: Munch und Modigliani lassen grüßen. Andere verschaffen seelischer Spannung bildhaften Ausdruck. Neben christlichen Motiven ist schräger Humor und anrührend Naives zu entdecken. Eine individuelle Bandbreite, die das Klischee vom muskelbepackten „Knacki“ aushebelt, wie Kümmel bestätigt: „So verschieden diese Zeichnungen sind, so verschieden sind auch die Männer im Gefängnis.“ Florian Stegmaier