Heidengrabenzentrum
Mit dem Druiden Ascan ins neue Jahr

Dort wo sich einst die größte keltische Siedlung des europäischen Festlands befand, wird das alte Jahr standesgemäß verabschiedet und ebenso das neue begrüßt.

Der Keltendruide Ascan hält vor dem Heidengrabenzentrum die Samhain-Zermonie ab. Rund 60 Interessierte unterschiedlichen Alters nahmen daran teil. Foto: Markus Brändli

Lara hat es sofort gesehen: „Der Himmel ist verkehrt herum“, flüstert sie ihrer Mama ins Ohr. Was die Kleine meint, wird beim Blick zum Horizont klar: Die ins Dunkel getauchte Fläche der Schwäbischen Alb geht ansatzlos ins schwarz-grau-blaue Firmament über, mündet allerdings ganz oben in einen milchig-hellen Streifen. „Normalerweise ist es doch umgekehrt“, sagt die Sechsjährige aus Nürtingen, und ihre Mutter nickt.

An diesem Samstagabend ist tatsächlich vieles anders vor dem Heidengrabenzentrum, das im Dreieck zwischen den Reutlinger Kreisgemeinden Grabenstetten und Hülben sowie Erkenbrechtsweiler im Kreis Esslingen liegt. Denn es ist Samhain – und das wird dort, wo sich dem aktuellen Stand der Forschung nach in den Jahren zwischen 120 und 80 vor Christus die größte keltische Siedlung des europäischen Festlands befand, gebührend gefeiert.

 

Nehmt das mit, was für euch gut und wichtig ist.

Wolf Götz alias „Ascan" in seinem Ritual zum keltischen Jahreswechsel.

 

Gut fünf Dutzend Interessierte – junge und ältere, Familien und Pärchen, Geschichtsinteressierte oder einfach nur Neugierige – folgen den Ausführungen des Druiden Ascan, der zur Keltengruppe Riusiava gehört, die regelmäßig im Heidengraben anzutreffen ist. Bereits den Tag über haben sich zahlreiche Besucherinnen und Besucher die Ausstellung angeschaut, den Gruppenmitgliedern dabei zugesehen, wie sie Leder bearbeiten, Kettenhemden schmieden oder sich mit den beiden Kriegern und der Kriegerin unterhalten. Sie haben Vorträgen gelauscht, sich über das weitläufige Gelände und durch die Ausstellung führen lassen.

Solche Angebote gibt es regelmäßig, um in die Zeit der Kelten zurückzuführen und diese ein Stück weit ins Hier und Jetzt zu holen. Rund 20.000 Gäste hatte der Heidengraben, wie dessen Geschäftsführerin Tanja Breitenbücher berichtet, im ersten Jahr nach seiner Eröffnung im Juni 2024. Doch während das Zentrum für gewöhnlich um 17 Uhr schließt, ist es an diesem Samstag eben anders: Für die Kelten fand der Jahreswechsel in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November statt. Samhain, der Übergang zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Vergangenheit und Zukunft, wurde bis zum Abend des zweiten Tages gefeiert.

Und ganz gleich, ob man auf Mystik und Rituale steht: Die Zeremonie, zu der Ascan ansetzt, zieht offensichtlich alle Anwesenden in den Bann. Der Druide, der im echten Leben Wolf Götz heißt, aus Aichtal kommt und 40 Jahre lang im Garten- und Landschaftsbau tätig war, spricht mit sonorer, aber ruhiger Stimme, die trotzdem gut zu hören ist, weil die Menge so still und aufmerksam ist, dass man sogar das Feuer in der aufgestellten Schale knistern hört.

Ascan setzt aber nicht nur auf Atmosphäre und Emotionalität. Vielmehr verweist er auch darauf, „dass sich hier oben einst das Zentrum der Wirtschaftswelt“ befand, und darauf, „dass der Grund, auf dem wir stehen, schon früher für religiöse Feiern genutzt wurde“. Samhain sei die Nacht, in der die Menschen Verbindung zu ihren Ahnen aufnehmen könnten, „in der wir das Alte an der Schwelle zurücklassen und auf das Neue vorausschauen“, betont der Druide.

Kräuter ins Feuer

Und so wie das Rad der Zeit seine Runden dreht, drehen wenig später auch etliche Gäste eine Runde um die Feuerschale und werfen einen Kräuterbüschel in die Flammen, um das Schlechte loszuwerden und das Gute willkommen zu heißen. Der Duft der Kräuter mischte sich in den Rauch und erfüllte die Luft mit einem stickig-süßlichen Gemisch. „Nehmt das mit, was für euch gut und wichtig ist“, fordert Ascan und macht gleich mehrfach deutlich, was ihm selbst wichtig ist: „Friede – Liebe – Harmonie – hier an diesem Ort – auf der gesamten Erde – und im gesamten Universum“, sagt er jedes Mal, wenn er seine Runde um die Schale dreht.

Als Keltenpriester des Sonnengotts ruft der Druide zum Schluss der Zeremonie und ehe er den Abschlusssegen spricht, für all jene, die das wollen, deren Ahnen an. „Verbindet euch mit deren Seelen, haltet die Verbindung aufrecht und löst sie wieder!“ Minuten des Schweigens, der Ergriffenheit, aber auch des Zweifels folgen – und diese Zweifel, das stellt Ascan ebenfalls klar, sind „berechtigt und durchaus erwünscht“.

Auch Tanja Breitenbücher unterstreicht, „dass es uns hier nicht um Esoterik geht, sondern um Wissenschaft, um Forschung und darum, das Leben der Kelten auf der Alb erlebbar zu machen“. Das gehe im Übrigen auch den Winter über, ergänzt sie. Die Ausstellung sei ganzjährig geöffnet. „Und die Sonderschau ,Keltenwelten’ ist zusätzlich noch bis zum 31. Januar zu sehen.