Urbanität
Neues Leben auf altem Grund

Tag der Architektur führte zu Orten, an denen Transformation großgeschrieben wird. Ob Industriebrache, Natur-Kita oder Keltenmuseum – gute Architektur denkt über den Bau hinaus.

Das Heidengrabenzentrum will die Geschichte erlebbar machen. Fotos: Florian Stegmaier

Leerstand – Lücken – Potenziale“ – unter diesem Motto lud die Architektenkammer Baden-Württemberg zum „Tag der Architektur“ ein. Mit dem Bus startete die Kammergruppe Esslingen II von Kirchheim aus zu drei Projekten, die zeigen, wie aus Brachflächen und sensiblen Naturräumen nachhaltige Architektur entstehen kann.

Erste Station: Oberlenningen. Wo einst Papiermaschinen dröhnten, liegt heute eine 20 Hektar große Entwicklungsfläche voller Chancen und Herausforderungen. Auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Scheufelen soll ein neues Stadtquartier mit bis zu 650 Wohneinheiten entstehen – ein Mammutprojekt. Bei der Führung mit Dr. Ulrich Scheufelen erhielten Besucher seltene Einblicke in das Areal, das trotz seiner Größe eine sensible städtebauliche Balance anstrebt. Die Lage ist strategisch spannend: Als Bindeglied zwischen Ober- und Unterlenningen könnte es beide Ortsteile künftig stärker zusammenführen.

Nutzungskonzept fehlt noch

Herzstück der Planung ist die Renaturierung der Lauter. Sie wird aus ihrem Betonbett befreit und als landschaftliches Rückgrat neu inszeniert – mit Nachbarschaftspark, Freizeitflächen und einem ökologisch durchdachten Wasserkonzept nach der „Schwammstadt“-Idee. Die Lauter soll nicht nur Hochwasser puffern, sondern auch Lebensqualität und Identität stiften. Die Bebauung ist in Nord-Süd-Richtung aufgeteilt: ein Wohnquartier, ein urbanes Mischquartier und ein produktives Gewerbequartier. Der denkmalgeschützte Bestand wird eingebunden, doch gerade für den markanten Kraftwerkskomplex fehlt ein tragfähiges Nutzungskonzept. Grüne Fugen zwischen den Baufeldern öffnen Sichtachsen und verweben die Bebauung mit dem Naturraum, so die Vision. Hier wird das Motto „Leerstand – Lücken – Potenziale“ konkret: Nicht Abriss, sondern Transformation steht im Fokus.

Die Naturkita in Hepsisau.

Deutlich kleiner, aber nicht minder bemerkenswert ist die neue Natur-Kita am Ortsrand von Hepsisau. Hier wurde „Bauen im Kontext“ besonders feinfühlig umgesetzt. Die Architekten haben den landschaftlichen Charakter der Schwäbischen Alb zur Grundlage gemacht und den Eingriff in die Natur minimal gehalten. Der eingeschossige, kreisförmige Bau ruht auf Punktfundamenten und ist damit vom Boden losgelöst. So bleiben Flora und Fauna unter dem Gebäude nahezu ungestört. Auffällig ist das zurückhaltende, klare Design, das sich bewusst einfügt statt hervorzutreten. Ein begrüntes Retentionsdach mit Photovoltaikanlage gleicht die versiegelte Fläche aus – ein praktisches Beispiel für nachhaltige Bauweise.

Gebaute Lektion in Nachhaltigkeit

Innen folgt der Grundriss einem klaren Konzept: Der zentrale Gruppenraum wird von einer ringförmigen Schicht mit Garderoben, Sanitärbereich und Teamraum umschlossen. Eine überdachte Pergola schafft den Übergang zwischen innen und außen, während raumhohe Glasflächen und ein Oberlicht für Tageslicht und Naturbezug sorgen. Fassadenlamellen filtern das Licht je nach Sonnenstand und erzeugen eine lebendige Raumatmosphäre. Auch die Materialwahl setzt auf Nachhaltigkeit: Weißtanne dominiert Fassade, Fensterrahmen und Innenflächen. Die Konstruktion aus Holzrahmen und Massivholzdecken erlaubt hohe Recyclingfähigkeit und maximale Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Sogar der Holzpellet-Ofen dient doppelt – als Wärmequelle und als Kochstelle für die Kinder. So ist die Kita nicht nur Bildungsort, sondern eine gebaute Lektion in Nachhaltigkeit – und zeigt, wie sich anspruchsvolle Architektur auch in kleineren Gemeinden realisieren lässt.

Die ehemalige Papierfabrik Scheufelen mit der Renaturierung der Lauter war ebenfalls eine Station.

Die dritte Station liegt in einem der bedeutendsten archäologischen Fundstätten der Region – dem Oppidum Heidengraben, das einst bis zu 20.000 Kelten beherbergte. Das Heidengrabenzentrum will diese Geschichte erlebbar machen, ohne selbst zu dominieren. Als künstlicher Hügel fügt sich das Gebäude in die Landschaft ein und verbirgt sein Volumen unter Gras und Erde. Hier wird deutlich: Architektur kann Geschichten erzählen und zugleich respektvoll Landschaft integrieren.

Am Ende der Tour wurde klar, wie vielfältig die Aufgaben von Architektur heute sind: vom neuen Stadtquartier auf der Industrie-brache über sensiblen Kitabau im Naturraum bis zur Inszenierung archäologischen Erbes. Der „Tag der Architektur“ hat in diesem Jahr gezeigt, dass gute Planung weit über pure Ästhetik hinausgeht: Sie gestaltet Lebensräume für Menschen, Natur und Geschichte gleichermaßen.