Es ist beileibe nicht nur ein Buch für Frauen – und beschreibt doch ein überaus interessantes Frauenleben. Es ist auch keineswegs ein rein politisches Buch – obwohl es das Schicksal des armenischen Volkes und die Unterdrückungsmechanismen der Sowjetunion im vergangenen Jahrhundert eindrucksvoll schildert. Und ein Buch nur für Kunstfreunde ist es auch nicht – selbst wenn im Mittelpunkt die Geschichte einer leidenschaftlichen Malerin steht. Es ist vor allem eines: eine mitreißende, lesenswerte Romanbiografie. Iris Lemanczyk hat in ihren zahlreichen Werken schon immer Menschen in den Mittelpunkt gerückt, die bis dato wenig Beachtung erfahren haben, so zum Beispiel den im Nationalsozialismus verfolgten Sinto-Jungen „Kajetan“, den Helden des Jugendromans „Brennnesselhaut“.
„Ich habe ihm gesagt, dass meine Liebe, mein Ein und Alles, die Malerei ist und bleibt.
Mariam beschreibt ihren Ehemann in einem fiktiven Brief an Frida Kahlo.
Auf Mariam Aslamazyan wurde die Autorin, die heute in Stutt-gart lebt, auf einer ihrer vielen Reisen aufmerksam, diesmal bei Lesungen in Armenien. In Gyumri, der zweitgrößten Stadt des Landes, ist den malenden Aslamazyan-Schwestern Mariam und Yeran ein ganzes Museum gewidmet. Persönlich getroffen hat Lemanczyk keine der beiden Schwestern. Die berühmtere, Mariam, starb 2006 im Alter von fast 100 Jahren. Und trotzdem kennt die deutsche Autorin die Armenierin so gut wie kaum jemand sonst, hat sie doch wochenlang vor Ort recherchiert, originale Filme gesichtet und sogar eine kleine russische Autobiografie übersetzen lassen.
Die Romanbiografie füllt nun die Fakten mit prallem Leben. Ein Leben, das in Wohlstand begann und aufgrund der Überfälle durch Türken und Russen auf Armenien im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts immer entbehrungsreicher wurde. Die junge Frau, die nichts als malen wollte, wurde zum Klassenfeind erklärt, immer wieder in Moskau von der Kunsthochschule geworfen und zudem in der Männerwelt nicht ganz ernst genommen. Sie erlebte bitterste Armut und wurde schließlich doch zur russischen Vorzeigekünstlerin. Als solche durfte sie in alle Welt reisen, wo sie Motive für ihre Malerei sammelte, aber auch interessante Menschen kennenlernte wie die gleichaltrige mexikanische Malerin Frida Kahlo, mit der sie sich stark identifizierte.
„Ich bin nichts weiter als eine Malerin, die nichts anderes möchte, als malen, malen, malen“, betont Aslamazyan immer wieder. Doch dass auch Kunst politisch ist, wird spätestens auf einer Vernissage in Paris deutlich. Dort trifft sie die Präsidentin der Union der antifaschistischen Frauen, die Spanierin Dolores Ibarruri. Für sie findet der Kampf um Gleichberechtigung auf jeder Ebene statt: „Jede muss mit ihren Mitteln kämpfen“, gibt sie der Armenierin mit auf den Weg: „Dein Mittel ist der Pinsel, mein Mittel ist die Sprache.“
Wirklich frei fühlt sich Mariam Aslamazyan nie in der Sowjetunion. Sie muss viele Kompromisse schließen und auch Kunst machen, die verlangt wird. Doch selbstbewusst geht sie ihren Weg, der in vielen Punkten anders ist als das typische Leben einer armenischen Frau im vergangenen Jahrhundert. So zum Beispiel stellt sie die Kunst über alles. Kinder sind für die Frau, die mit acht Geschwistern aufgewachsen ist, kein Thema. Und auch ihr Ehemann steht maximal in der zweiten Reihe. Sie hat es geschafft, in die Geschichte einzugehen – mit ihren Bildern von ihrer Heimat Armenien und nicht zuletzt jetzt durch Lemanczyks Romanbiografie.
Info „Mariams Farben“ hat die ISBN 978-3-89502-419-1.