Vorfall
Wie Neuffen und ein nackter Mann schlagartig berühmt wurden

Ein 36-Jähriger verliert mitten in der Neuffener Ortsmitte die Kontrolle über sich. Das ruft ein bundesweites Medienecho hervor. Doch hinter der Aufregung steht ein Mensch, der Hilfe braucht.

Ein Vorfall in Neuffen hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Foto: pr

Es sind 20 Minuten, die reichen, um Neuffen und einen nackten Mann ins bundesweite Rampenlicht zu zerren. Den Vorfall, um den es geht, hat Alexander Spring, Wirt des Hotel-Restaurants „Traube“, hautnah miterlebt. „Ich war im Gastraum und habe draußen Schreie gehört“, erzählt er. Dort habe er den Mann gesehen, der nicht weit entfernt von der Traube in einem Fachwerkhaus wohnt. „Er hat ,Stopp, Polizei‘ gerufen und ist auf ein Auto gehopst“, berichtet Spring. Der Mann sei auf der Hauptstraße hin und her gerannt und habe sich schließlich in der Ortsmitte ausgezogen. Gegenüber einer Frau, die mit ihm habe sprechen wollen, sei er aggressiv geworden. Diese habe sich dann in eine Bäckerei zurückgezogen.

Was da durch die Medien geht, ist der größte Schwachsinn, den ich hier erlebt habe.

Matthias Bäcker, Bürgermeister in Neuffen

„Ich bin dann wieder zurück ins Restaurant, um die Polizei anzurufen“, sagt der Gastwirt. Kurz darauf habe er gehört, wie draußen jemand um Hilfe schreie. Er habe einen älteren Herrn auf dem Boden liegen sehen, der nackte Mann hatte seinen Fuß auf ihn gestellt. Zusammen mit einem weiteren Helfer habe er ihn angeschrien und den offenbar geistig verwirrten Mann weggezogen. Gemeinsam habe man ihn in eine Gasse zu einer Bank gedrängt. Dort habe er sich dann hingesetzt. „Die Polizei war auch ganz schnell da“, erzählt Spring.

Die Polizisten hatten keine Probleme, den Mann in das Auto zu verfrachten. So geht es aus der Polizeimitteilung hervor, die noch am Tag des Vorfalls erscheint. „Wäre es bei der Ingewahrsamnahme des Mannes zu Widerstandshandlungen gekommen, hätten wir dies berichtet“, ergänzt Christian Wörner, Sprecher des Polizeipräsidiums in Reutlingen. Im Polizeibericht ist die Rede davon, dass der Mann Schul- und Kindergartenkinder aggressiv angesprochen hat. Es sei aber niemand ernstlich verletzt worden und auch zu einem Sachschaden sei nichts bekannt. Gegen den Mann wird allerdings wegen des Verdachts der Körperverletzung ermittelt. 

Damit hätte die Geschichte schon zu Ende sein können. Doch in den sozialen Medien machte schnell ein Video des Mannes die Runde, wie er in sichtlich verwirrtem Zustand unbekleidet die Hauptstraße entlang rennt.

Neuffen in den Schlagzeilen

Die „Bild-Zeitung“ hat das Thema aufgegriffen und getitelt: „Kleinstadt in Angst vor nacktem Flüchtling“ und „Er schlägt immer wieder zu“. Andere überregionale Zeitungen übernehmen den Text, und Blogger vom rechten Rand fühlen sich bemüßigt, das scheinbare Chaos in Neuffen zu thematisieren.

Die Polizei, so ist es Usus, gibt keine Informationen zu polizeilichen Einsätzen, die in einem Zusammenhang mit einzelnen, identifizierbaren Personen stehen. Der Mann, so viel ist bekannt, hat am 16. Januar schon einmal einen größeren Feuerwehr- und Polizeieinsatz ausgelöst. Damals hatte er geschrien, in seiner Wohnung randaliert und gedroht, sich vom Dach zu stürzen. Am Ende sprang er vom Vordach neben das aufgebaute Rettungskissen der Feuerwehr und wurde ins Krankenhaus gebracht. Groß verletzt hat er sich dabei nicht. „Der von ihnen angesprochene Fall dürfte auf die psychische Erkrankung des Mannes zurückzuführen sein. Hintergrund war ein Suizidversuch“, teilt die Polizei auf Anfrage mit. Zu strafrechtlich relevanten Vorkommnissen sei es damals nicht gekommen.

Polizeilich in Erscheinung getreten ist der Mann bis zum Vorfall am Donnerstag vergangener Woche dann nicht mehr. Neuffens Bürgermeister Matthias Bäcker bestätigt dies: „Der Mann ist zuvor weder mir noch dem Ordnungsamt negativ aufgefallen.“ Das Fachwerkhaus, in dem er lebe, sei auch keine Sozialunterkunft.

Dass ein Mensch nackt und schreiend durch Neuffen gerannt ist, hat natürlich fast jeder in dem Städtchen mitbekommen. Ein Nachbar ärgert sich, dass Neuffen nun bundesweit in ein schlechtes Licht gestellt wird. Laut ihm und einem anderen Nachbarn soll der Mann einer geregelten Tätigkeit nachgehen und selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen. Ein weiterer Anwohner beschreibt ihn als „anständigen Menschen“, der wisse, dass er Hilfe brauche.

In Fachklinik stationär betreut

Die Polizei hat den Mann in die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medius-Kliniken in Kirchheim gebracht, wo er seither stationär betreut wird. Das freut auch Traube-Wirt Alexander Spring: „Wichtig ist, dass ihm geholfen wird.“ Er selbst hätte sich gewünscht, dass mehr Leute eingreifen und nicht nur zuschauen oder gar das Handy zücken. Angst vor dem Mann habe er nicht ge­habt: „Er war ja nackt, da konnte er keine Waffe dabei haben.“

Auch Bürgermeister Matthias Bäcker hofft, dass dem Mann schnell geholfen wird. Zu dem, was durch das Netz wabert, hat er eine deutliche Meinung: „Das, was da gerade überregional durch die Medien geht, ist der größte Schwachsinn, den ich hier erlebt habe.“