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Neuer Roman: Weilheimer Autorin lüftet Geheimnis einer Stuttgarter Tapeten-Dynastie

Buchneuerscheinung Mit „Papierblüten“ wagt sich die Weilheimer Krimi-Autorin Cindy Jäger auf ungewohntes Terrain: Sie hat einen Familiengeheimnis-Roman geschrieben, der in der NS-Zeit spielt – unter einem Pseudonym. Von Bianca Lütz-Holoch

Eigentlich sind Krimis und Detektivgeschichten ihr Metier. Gerne mit viel Lokalkolorit, wie zum Beispiel im Schwabenkrimi „Leichenfund im Baugrubengrund“, in dem Weilheim zum Tatort wird. Jetzt hat sich die Weilheimer Autorin Cindy Jäger an ein – für sie – ganz neues Genre gewagt. „Papierblüten. Schatten über der Villa Brendel“ ist ein Familiengeheimnis-Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt, sich um eine Stuttgarter Tapeten-Dynastie dreht und die NS-Zeit thematisiert. Und noch mehr ist anders als bei ihren bisher veröffentlichten Büchern. Zum ersten Mal ist ein Buch der Weilheimerin im Piper-Verlag erschienen. Auch der Name auf dem Cover ist ein anderer: Dort steht jetzt das Pseudonym „Lilly Wolf“. Wie es dazu gekommen ist und wieso Cindy Jäger alias Lilly Wolf bei ihrem neuen Roman viel mehr ihre Komfortzone verlassen musste als vermutet.

 

90 Prozent der Zeit sitzt man in Jogginghosen am Schreibtisch.
Cindy Jäger
stellt klar, dass der Job einer Autorin viel glamouröser klingt als er ist. 

 

Ein Liebesroman, ein Krimi oder eine Familiengeheimnis-Geschichte, die auf zwei Zeitebenen spielt – vor dieser Wahl stand Cindy Jäger, als sie im Internet auf eine Ausschreibung des Piper-Verlags stieß. Ihr erster Reflex: „Ich schreibe einfach einen zweiten Weilheim-Krimi.“ Dann aber ging ihr das Familien-Geheimnis nicht mehr aus dem Kopf. „Es hat mich gereizt, eine Geschichte in der Vergangenheit spielen zu lassen und zwei Handlungsebenen zu entwerfen“, sagt die Autorin, die seit 2014 in Weilheim lebt und 2019 ihr erstes Buch veröffentlicht hat.

Den Ausschlag gab schließlich ein Gespräch mit ihrer besten Freundin, die Geschichte studiert hat. „Wir haben beide den Eindruck, dass die Erinnerung an die NS-Zeit verblasst und sich auch der Umgang damit verändert“, sagt Cindy Jäger. „Vielleicht auch, weil es immer weniger Zeitzeugen gibt.“ Also beschloss sie, ihre eigene fiktive Zeitzeugin zu schaffen: Marion Brendl, Matriarchin einer Stuttgarter Tapeten-Dynastie.

Ohne zu viel vorwegzunehmen: Ein bisschen Krimi steckt in „Papierblüten“ auch. Da ist  das Geheimnis, das aufgedeckt werden muss, und zwei Todesfälle, die Rätsel aufgeben. Schwere Kost ist das Buch trotz des schwierigen Themas nicht – eine ganz bewusste Entscheidung der Autorin: „Ich wollte die veränderte Sicht auf die NS-Zeit thematisieren, aber dabei vor allem ein unterhaltsames und spannendes Buch schreiben.“ Ein paar Einblick gibt Cindy Jäger auf ihrem Instagram-Kanal:

 

 

Besonders reizvoll für Cindy Jäger: einmal ganz anders an die Figuren heranzugehen. „Im Krimi ist man ja ziemlich festgelegt: Es gibt Opfer, Täter, Verdächtige und Ermittler.“ Das neue Genre eröffnete ihr die Möglichkeit, die Familiendynamik genauer zu beleuchten und sich mit der Haltung Einzelner gegenüber der SS-Ideologie auseinanderzusetzen. „Ich habe mir überlegt: Wie handeln die Figuren? Unterstützen sie ihre Freunde oder halten sie sich sicherheitshalber raus?“ In ihrem Roman möchte die 42-Jährige die Leser auch dazu anregen, sich selbst zu reflektieren und sich zu fragen: „Wie hätte ich reagiert?“

Anspruchsvoller Zeitplan

Als anspruchsvoll entpuppte sich aber nicht nur das Thema, sondern auch der Zeitplan: „Ich habe den Aufwand für einen solchen Roman völlig unterschätzt“, gibt die Autorin offen zu. Schließlich arbeitet sie hauptberuflich noch in Teilzeit als Qualitätstesterin beim Stuttgarter Kosmos-Verlag und hat in der Regel nur drei Schreibtage pro Woche zur Verfügung. Bei Vertragsabschluss standen zwar bereits Plot, Figuren und die ersten 50 Seiten. „Es war aber naiv zu denken, dass ich den Rest des Buchs neben meinem Job mal eben in einem halben Jahr fertigstellen kann“, blickt Cindy Jäger zurück. Geschafft hat sie es trotzdem – auch wenn ein paar andere Dinge zu kurz gekommen sind: Sport machen und Aufräumen zum Beispiel.

Vor allem lag das am immensen Rechercheaufwand, sowohl zur Geschichte als auch zu Alltagsdetails. Zum Beispiel: Was war 1939 die Modefarbe? Wie war Seife verpackt und welchen Schmuck trugen die Menschen damals? Um solche Fragen beantworten zu können, besuchte Cindy Jäger Ausstellungen im Stuttgarter Stadtpalais und in der Württembergischen Landesbibliothek, streifte durch Stuttgart, über den Pragfriedhof und die Staffeln. Sie las Bücher und eignete sich Vokabular an, das damals üblich war: „Automobil“ oder „Lichtspielhaus“ zum Beispiel. „Zum Glück hatte ich mit meiner Freundin auch eine Historikerin an meiner Seite“, sagt Cindy Jäger. Sie unterstützte mit historischen Fakten und Wissenswertem, etwa wo man einen Arier-Nachweis herbekam.

Ein reales Vorbild für die Stuttgarter Tapetendynastie in „Papierblüten“ gibt es übrigens nicht. Für das Thema entschieden hat sich Cindy Jäger aus persönlichen Gründen: „Ich liebe Tapeten“, sagt sie – an den eigenen Wänden, aber auch als Konzept: „Tapeten sind eine Mischung zwischen Alltagsgegenstand und Kunst.“

Und warum das Pseudonym? „Damit die Leser wegen des Genrewechsels nicht durcheinanderkommen und beim Kauf eines Buchs womöglich etwas anderes bekommen als erwartet“, klärt Cindy Jäger auf. Es ist gängige Praxis, dass Autoren für jedes Genre unter einem anderen Namen schreiben.

Sehr gute Bewertungen

Bei den Lesern scheint der Roman übrigens sehr gut anzukommen: Cindy Jäger hat für „Papierblüten“ bisher durchweg positive Online-Kritiken und -Bewertungen erhalten. Stolz ist die Weilheimerin auch, dass sie bei der Ausschreibung des Piper-Verlags tatsächlich zu den wenigen Auserwählten gehörte, deren Manuskript als Buch veröffentlicht wurde. „Es gab immerhin rund 800 Bewerbungen“, weiß die Autorin.

Ob es eine Fortsetzung von „Papierblüten“ geben wird, ist offen. Ideen für künftige Werke aller Art hat Cindy Jäger jedenfalls schon genug. Ein Traum wäre es für sie, einmal längere Zeit im Ausland an einem Roman-Schauplatz zu verbringen und auch dort zu schreiben. Ganz weit oben auf der Liste der Kunst-Liebhaberin: Rom, Venedig oder Florenz. Aber auch London käme infrage. Oder einer der berühmten Züge: „Die Transsibirische Eisenbahn oder der Glacier-Express wären toll – und ein Buch à la Mord im Orient-Express.“

Cindy Jäger hat in Leipzig Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert und als Lehrerin gearbeitet. Während eines Aufenthalts an einer deutschen Auslandsschule in Ungarn lernte sie ihren jetzigen Lebensgefährten kennen – einen Weilheimer. 2014 zog sie zu ihm in die Stadt unter der Limburg. 

 

5 Tipps für angehende Autorinnen und Autoren von Cindy Jäger

Klein anfangen: Nicht gleich mit einem ganzen Roman starten, sondern erst einmal mit einer Kurzgeschichte. 

Auf Ausschreibungen bewerben: Wer sich gezielt auf eine Ausschreibung eines Verlags bewirbt, steigert seine Chancen und hat schon eine grobe Vorstellung davon, welche Genres gerade besonders gefragt sind.

Allzeit bereit sein: Das Notizbuch sollten Schriftsteller immer griffbereit haben – dann geht keine gute Idee verloren.

Mit System arbeiten: Nicht einfach drauflos schreiben, sondern erst einmal einen Plot erstellen – auf dem Papier oder mit einem digitalen Tool.

Realistisch bleiben: Wer schreibt, sollte das aus Freude tun und nicht, um Geld zu verdienen. Nur die wenigsten Autoren können von ihren Büchern leben. Ohnehin klingt der Job als Autorin glamouröser als er ist. „90 Prozent der Zeit sitzt man in der Jogginghose am Schreibtisch“, sagt Autorin Cindy Jäger. bil